Seit dem letzten Beitrag ist es mal wieder etwas her, aber das hatte diesmal einen besonderen Grund – Wechsel des Betriebssystems. Ich war schlichtweg genervt von den dauernden Udates, die nichts besser machten, sondern oftmals meine halbe Computer-Konfiguration für Foto, Film und Musikproduktion zerlegten und jedes Mal Stunden für die Neueinrichtung benötigten. Und ich hatte auch keine Lust mehr, Geld in irgendwelche Abos für die Nutzung von Software zu investieren, die ich nur sporadisch eingesetzt habe. Um es kurz zu machen – Windows und alles was an Programmen für meine medialen Tätigkeiten dazu gehörte, wurde mehr und mehr zum Ärgernis. Allerdings wechselt man ein Produktionssystem für die von mir angeführten Einsatzgebiete nicht so schnell und deshalb blieb ich lange beim Betriebssystem aus Redmond, aber Gott hörte mein Knurren.

Als dann Ende letzten Jahres auch noch Windows 11 veröffentlicht wurde und ich nach einigen Recherchen feststellte, dass Zwänge und Einschränkungen mir mehr und mehr die Kontrolle über meinen eigenen Rechner nehmen, war das Maß voll. Sieht man einmal über das gebrochene „Versprechen“ hinweg, dass Windows10 das LETZTE System von Microsoft sein wird, arbeitet diese Firma mit Tempo daran, den Besitzer eines Rechners zum unmündigen User zu degradieren. Was bei Smartphones mit Googles Android geklappt hat, sollte doch auch mit dem meist benutzten Betriebssystem für Personalcomputer funktionieren. Wahrscheinlich wird es das auch – aber mit einem „User“ weniger, nämlich meiner einer.

In der Vergangenheit habe ich oftmals schon mit Programmen wie RawTherapee und Gimp unter Windows gearbeitet, um zu sehen, wie leistungsfähig diese Alternativen zu Photoshop und Lightroom sind. Vorweg, es sind äußerst mächtige und dabei auch noch kostenlose Programme, die nach wenigen Stunden Eingewöhnungszeit die exakt gleichen Ergebnisse liefern, wie die Adobe-Produkte. Für den Profi-Fotograf ist es egal, ob Software bei der Anschaffung oder als Abo-Modell Geld kostet, denn er setzt es als Ausgaben von der Steuer ab. Für den ambitionierten Amateur-Fotografen sind Anschaffungs- oder Mietkosten definitiv ein Thema, denn damit wird das meist eingeschränkte Budget zusätzlich belastet. Kostenlose Foto-Bearbeitungssoftware schont halt den Geldbeutel und der eingesparte Betrag kann in ein neues Objektiv oder nützliches Zubehör investiert werden.

Alternative: Linux

Wenn man Windows nicht mehr einsetzen und die vorhandene und nicht gerade billige Hardware weiterhin benutzen will, gibt es die Möglichkeit, eine Linux-Distribution zu nutzen. Davon gibt es einige und im Bereich Office sind sie mittlerweile alle so gut, dass der geneigte Mausschubser kaum einen Unterschied zu seinem alten (Windows)System wahrnehmen sollte. Wobei – diese Aussage ist nicht ganz richtig, denn der Umsteiger wird überrascht feststellen, dass sein (alter) Rechner plötzlich wesentlich schneller arbeitet als vorher. Auch der vorher knappe Arbeitsspeicher füllt sich gefühlt nur ein Drittel so schnell wie unter Windows. Das liegt einfach an der Art und Weise, wie Linux arbeitet.

Für den Internet-Surfer und Office-Nutzer ist Linux nicht nur eine Alternative, sondern tatsächlich ein Mehrgewinn an Tempo und Nachhaltigkeit, weil dadurch die vorhandene Technik länger genutzt werden kann. Etwas anders sieht es aus, wenn spezielle Einsatzmöglichkeiten des Rechners gefragt sind. Software für Aufnahmestudio – und/oder Videoproduktion, sowie Fotobearbeitung gibt es unter Linux reichlich. Diese aber auch in das System zu integrieren, erfordert doch oftmals mehr als im grafischen Userinterface die Maus hin und her zu schubsen – der Einsatz der berühmt berüchtigten Konsole ist hier gefragt.

Auch wenn die weltweite Linux-Community über ihre Foren Hilfe anbietet, ist sie nicht immer zielführend und so mancher Versuch, einige Automatismen für seinen Workflow einzurichten, enden, trotz Hilfe, im Desaster. Genau aus diesem Grund sollte man sich über eines im klaren sein – für Multi-Media-Produktion ist der Umstieg auf Linux nicht ganz so einfach. Er erfordert Zeit, Lernwilligkeit und Ausdauer. Wen das abschreckt, sollte weiterhin mit seinem (Windows)System arbeiten, sich den (zukünftigen) Forderungen der Firma aus Redmond unterwerfen und die administrative Hoheit über seinen Computer abgeben.

Für Leser dieses Artikels, die damit gut leben können, ist er an dieser Stelle zu Ende. Für alle anderen, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, sich nicht mehr der immer größer werdenden Bevormundung von Microsoft unterzuordnen, sind die weiteren Informationen vielleicht interessant. Hier habe ich die Anforderungen und Gegebenheiten aufgezeigt, die mir letztendlich die passende Distribution für die vom Rechner zu bewältigen Aufgaben geliefert hat. Dabei ist der Bereich Musikproduktion und Videoschnitt in diesem Artikel ausgenommen und der Fokus auf Fotobearbeitung gelegt.

Die richtige Distribution

Das Betriebssystem Linux, ist nicht Eines, sondern Vieles. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man sich auf die Suche nach einer für sich selbst passenden Distribution aufmacht. Linux ist nur der Kern, sozusagen die Basis des Betriebssystems und besitzt keine eigene grafische Oberfläche. Während bei Windows der Kern mit der Oberfläche untrennbar verbunden ist, gibt es für Linux verschiedene Konzepte der Benutzeroberfläche. KDE, Gnome und XFCE  gehören zu den bekanntesten, aber es gibt auch noch viele andere. Um die Auswahl des zukünftigen Betriebssystems noch komplizierter zu machen, gibt es neben den Oberflächen auch noch verschiedene Anbieter, die ihrerseits wiederum verschiedene Distributionen anbieten. Klingt kompliziert? Ist es aber nur, wenn man nicht weiß, was der Computer zukünftig an Aufgaben erledigen soll.

Als System-Administrator arbeitet man berufsbedingt die Anforderungen an ein neues Media-System in folgenden Schritten ab: Was ist an Hardware vorhanden, was müssen System und Software können und was kostet die Umstellung. Der letzte Punkt kann schnell abgearbeitet werden, denn sowohl Betriebssystem, als auch die für die Aufgaben erforderliche Software, sind bei Linux kostenlos. Bleiben Hardwarekosten und Einsatzforderung. Bei der Hardware sollte die Voraussetzung darin bestehen, dass alles, was vorher funktionierte, auch im neuen System funktionieren muss. Hier ist der erste Punkt, bei der gewisse Unterschiede zu Windows auftauchen und nicht unbedingt den Umstieg erleichtern. Das beginnt bei speziellen Treibern und Firmware der Mainboard- und Grafikkartenhersteller, die es fast immer nur für Windows-Systeme gibt. Zwar wird JEDE Linuxdistribution ein Mainboard zum Laufen bekommen, aber spezielle Treiber für z. B. Lüftersteuerung sind nicht vorhanden. Bei guten Mainboards können die Lüfter aber auch im BIOS eingestellt werden, sodass sie nicht immer mit höchster Drehzahl laufen. Linux-Treiber für Grafikkarten der beiden größten Hersteller Nvidia und AMD gibt es aber und hier muss nur die richtige Auswahl getroffen werden.

Bleibt noch die Software, die benötigt wird, um einen guten Workflow für die Foto-Bearbeitung und Entwicklung zu erhalten. Für fast alles, was bei Adobe an Foto-Software bezahlt werden muss, gibt es kostenlose Alternativen unter Linux. Die bekanntesten, darunter Darktable und RawTherapee zur Foto-Entwicklung und Gimp für die Bildbearbeitung, funktionieren auf jeder größeren Distribution und können problemlos über den Softwaremanager nachinstalliert werden. Dabei fällt zum Ersten auf, dass sie unter Linux wesentlich schneller ihre Aufgaben erledigen, als unter windows (RawTherapee und Gimp). Zum Zweiten sind in der Linux-Variante noch mehr Funktionen vorhanden, bzw. können nachinstalliert werden.

Ubuntu Studio

Wie schon erwähnt, ist die Auswahl an Distributionen sehr groß und bei ALLEN können Programme für die Fotobearbeitung nachinstalliert werden. Als ehemaliger Windows-User möchte man aber so weit als möglich eine grafische Oberfläche für die Konfiguration nutzen – Benutzerfreundlich ist hier das Zauberwort. Zum Zweiten, und das war die persönliche Anforderung, sollte hinter der Distribution eine Firma, und nicht nur eine Gruppierung stehen, damit das System mit zukünftiger Hardware auch wachsen kann. Als drittes Kriterium war ein Hilfe-Forum gefordert, das bei der Umstellung auf Linux auch mal speziellere Fragen zur Media-Produktion beantworten kann. Vorzugsweise auf deutsch.

All diese Anforderungen und gleichzeitig eine riesige Auswahl an Software im kreativen Media-Bereich beinhaltet Ubuntu Studio. Ubuntu gehört zu Canonical, einem britischen Distributor von Linux und ist gerade bei Umsteigern von Windows äußerst beliebt.  Ubuntu-Studio bringt (fast) alles an Software mit, was es speziell im Bereich Foto-Bearbeitung und Entwicklung gibt, und das ist nicht gerade wenig. Zwar ist die Bedienung von den vorher benutzten Adobe-Werkzeugen abweichend, aber in einigen Bereichen sogar umfangreicher, als bei Adobe. Es soll an dieser Stelle aber auch nicht verheimlicht werden, dass gerade bei der Foto-Entwickler-Software Darktable die Begrifflichkeiten bei der Bedienung stark abweichen und eventuell ein höheres Verständnis für die Foto-Entwicklung notwendig ist. Es dauert seine Zeit und erfordert auch ein wenig Spielerei, um den Umstieg von Lightroom auf Darktable abzuschließen. Man wird aber mit zusätzlichen Möglichkeiten der Foto-Entwicklung belohnt und manch ein Ergebnis war unter Lightroom in dieser Form gar nicht möglich. Wer es „einfacher“, aber trotzdem professionell mag, der sollte sich mit RAWTherapee beschäftigen. Beide Entwickler-Programme nutzen unter Linux auch die Ressourcen einer potenten Grafikkarte von Nvidia oder AMD für die Berechnung und beschleunigen somit den Verarbeitungsprozess.

Fazit

Für den Besitzer eines Computers, der auch zukünftig die alleinige Kontrolle über seine Maschine behalten will, ist der Umstieg auf ein freies Betriebssystem selbstverständlich mit ein wenig Arbeit verbunden. Auch die Zeit für den Umgewöhnungsprozess bei der Bedienung von Software sollte in die Kalkulation einfließen, denn andere Begrifflichkeiten oder auch ein vergrößerter Funktionsumfang verlängern anfangs die Produktionszeit bei der Bearbeitung und Entwicklung. Dass dabei auch manchmal Frust entsteht, ist nur menschlich und sollte nicht als unüberwindliches Hindernis angesehen werden. Gerade im Foto-Bereich hat Linux Software zu bieten, die auch die speziellsten Wünsche erfüllt und den proprietären Windows-Programmen in nichts nachsteht.

Für mich persönlich war der Umstieg auf Linux auch ein kleines Abenteuer, da neben der Fotografie bei mir auch noch die Bereiche Musik- und Filmproduktion eine große Rolle spielen. Das in Jahren gewachsene Media-Produktionswerkzeug unter Windows musste in relativ kurzer Zeit auf ein vollkommen anders funktionierendes System adaptiert werden und hat mich vor größere Herausforderungen gestellt, als ich erwartet hatte. Und es hat auch mehr Zeit beansprucht, weil viele Funktionsbereiche wie Audio-Interfaces, Midi-Anbindung und Synchronisation mit der Software manchmal nur über die Konsole zu erledigen waren und sind. Die Hilfe aus dem deutschsprachigen Forum Ubuntuusers und stundenlange Recherche im Internet hat aber viele Hürden überwunden und das Ergebnis des Systemwechsels erstaunt mich immer noch. Meine jetzt 7 Jahre alte Hardware (außer der Grafik) läuft gefühlt ca. doppelt so schnell und auch die Entwicklung und Bearbeitung von RAW-Dateien läuft wesentlich flüssiger, als mit Windows mit der bis dahin genutzten Software.

Das ursprüngliche Ziel war, aus den diktatorisch anmutenden Fängen eines Software-Unternehmens auszubrechen und die gleiche Leistungsfähigkeit für mein Produktionssystem zu bekommen. Dass der gesamte Prozess der Media-Bearbeitung durch den Systemwechsel jetzt noch flüssiger läuft und die vorhandene, nicht mehr aktuelle Hardware zu neuen Höchstleistungen anspornt, ist die sprichwörtliche Kirsche auf der Torte.

Ein Artikel von Jürgen Olejok / 2022